Möhnekatastrophe 1943

Der Angriff auf die Talsperren aus heutiger Sicht

Von Robert Owen, Historiker der Squadron 617 und
Freund des Arnsberger Heimatbundes

Originaltitel: „THE DAMS RAID IN PERSPECTIVE“

ins Deutsche übertragen von Werner Bühner

Im Frühling des Jahres 1943 setzte RAF Bomber Command, die Leitung der britischen Luftstreitkräfte, etwas in Gang, das später als „die Schlacht an der Ruhr“ bekannt werden sollte.

Diese Offensive sah die Konzentration von Angriffen gegen besondere Ziele vor mit der Absicht, die Produktion von wichtigem Kriegsmaterial zu verringern. Das sollte geschehen durch die Zerstörung von Fabriken, Unterbrechung von Transportwegen und wichtigen Energieträgern, wie Wasser, Gas und Elektrizität sowie durch Demoralisierung der Arbeiter und der Zivilbevölkerung.

Sobald die Voraussetzungen es erlaubten, sollten durchschnittlich etwa 550 Flugzeuge gestartet werden, um Städte mit Schlüsselfunktion in Deutschlands bedeutendem Industriegebiet anzugreifen.

Das Konzept war nicht neu. Obwohl bei Kriegsbeginn nur Ziele mit eindeutig militärischer Bedeutung ausgewählt worden waren, war diese Auswahl nach und nach so erweitert worden, dass nun auch Ziele hinzukamen, die nicht direkt militärischer Art waren, die man aber im Hinblick auf die Kriegsführung des Feindes für strategisch bedeutsam hielt.

Anfangs hatte das nur begrenzte Konsequenzen. Bomber Command hatte weder die technische Ausrüstung noch die Erfahrungen, um eine derartig umfangreiche Angriffsserie voranzutreiben. Mit neuer Ausstattung, mit Bereitstellung von Flugzeugen nach neuestem Design – zeitgleich mit der Amtseinführung von Air Marshal Harris als neuem Befehlshaber von Bomber Command – entwickelte sich allmählich ein Anstieg der Intensität und der Treffgenauigkeit der Angriffe.

Die meisten Luftangriffe wurden von einer bemerkenswert großen Anzahl Flugzeuge ausgeführt, häufig in mondscheinlosen Nächten mit klarer Sicht und Bombenabwürfen aus über 3300 Metern Höhe. In der Nacht vom 16. zum 17. Mai 1943 wich Bomber Command von seiner üblichen Strategie ab. In dieser Nacht startete die Royal Air Force einen bemerkenswerten Angriff, der sich von den üblichen Angriffen auf Städte abheben würde.

Es war eine klare Nacht, erleuchtet von einem strahlenden vollen Mond, ideal für die verteidigenden Flugabwehrkanonen und die Nachtjäger, eine Nacht, die die RAF normalerweise nicht für Operationen tief in Deutschland gewählt hätte. Die Ziele, die die Flugzeuge suchten, waren die Schlüsseldämme Westdeutschlands. Ihr Erfolg, resultierend aus dem Bruch der Möhne- und der Edersperrmauer sowie der Beschädigung des Sorpedamms ist bis zum heutigen Tag Anlass zur Bewunderung ebenso wie zur heftigen Diskussion.

Die ersten Ansätze zu diesem Angriff können bis auf mehrere Jahre vor Kriegsausbruch zurückverfolgt werden. Angesichts einer sich verschlechternden politischen und militärischen Lage, begannen die militärischen Planungsstäbe mit der Identifizierung potenzieller Ziele, einschließlich der Energiequellen für die Industrie. Ein Ingenieur, der den Ausbruch des Krieges verfolgt und bis 1940 für den Flugzeughersteller Vickers-Armstrong zivile Maschinen entworfen hatte, dachte genauso darüber nach, ob er nicht als Ingenieur zum einem raschen Ende des Krieges beitragen könnte. 

Der Ingenieur war Barnes Wallis, Designer des Luftschiffs R100 und Erfinder „Korbflecht-Struktur“, die dem Wellington Bomber zu seiner Widerstandsfähigkeit gegen Flak-Beschuss verhalf. Wallis war bekannt für seine unübliche Art, Problemlösungen anzugehen, indem er oft das tat, was man heute laterales Denken nennt, um geniale Lösungen zu entwickeln.

Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Energiequellen und Rohstoffgewinnung. Wäre der Feind auf diesem Sektor im Nachteil, so könnte die Herstellung von Waffen deutlich reduziert, wenn nicht gar beendet werden. Viele dieser Anlagen waren Großbetriebe, oft abhängig von ihrer geografischen Lage, die man nicht so leicht hätte an einen anderen Ort bringen oder verbergen können. Aber war das eine realistische Einschätzung?

Kohlebergwerke waren, weil sie tief unter der Erde gelegen, sicher vor konventionellen Bomben. Ihre Fördertürme waren verletzbar, stellten aber für die Flugzeuge sehr kleine Ziele dar und hätten in relativ kurzer Zeit repariert werden können. Fabriken und Kraftwerke waren zahlreich und über ganz Deutschland verteilt. Ölfelder waren außerhalb der Reichweite von RAF-Bomberstaffeln, Raffinerien wären jedoch angreifbar, obwohl sie wahrscheinlich gut verteidigt werden würden. So wandte sich Wallis in seinen Gedanken dem Wasser und den Dämmen zu. Damit war er nicht allein. Die Planer im Luftfahrtministerium dachten ebenso. Und tatsächlich zeigten erbeutete deutsche Dokumente nach dem Krieg, dass die Luftwaffen-Strategen ähnliche Ziele in England ins Visier genommen hatten.

Wasser war unerlässlich bei der Produktion von Stahl  für Waffen. Die Flüsse konnten die Versorgung nicht immer garantieren und so wurde das Wasser während der regenreichen Jahreszeit in großen künstlichen Reservoirs gespeichert. Die Dämme, die die Seen entstehen ließen, regelten auch die Wasserversorgung für die Elektrizitätsgewinnung in Wasserkraftwerken, kontrollierten den Wasserspiegel der Flüsse und Kanäle und versorgten die Arbeiter sowie die übrige Bevölkerung mit Trinkwasser. Die Dämme zu zerstören würde alle diese Einrichtungen beeinflussen und darüber hinaus einen beachtlichen Schaden durch Überflutung anrichten. Die Fluten würden zwar die Fabriken selbst nicht erreichen, jedoch Straßen unterbrechen ebenso wie Bahngleise und Telefonsysteme, die für die Kriegsführung von Bedeutung wären. Solche Auswirkungen würden Produktion und Versorgung ernsthaft behindern und zusätzlich die Moral der Bevölkerung untergraben.

Wallis’ Untersuchungen der deutschen Wasserversorgung und industrieller Herstellungsprozesse ergaben, dass Unmengen von Wasser für die Stahlherstellung notwendig waren. Die Ruhr selbst war zu klein, um die benötigten Mengen zur Verfügung zu stellen, und ein Großteil der Stahlwerke an der Ruhr wurde mit Hilfe einer ganzen Reihe von Wasserreservoiren betrieben, die im höher gelegenen Gebiet östlich des Industriegebiets zu finden waren. Zwei der bedeutendsten wurden durch den Möhne- und den Sorpedamm gebildet.

Wallis überlegte, dass der Wasserverlust bei ihrer Zerstörung ein großer Schlag gegen die Produktion wäre. Die Chancen einer Zerstörung lagen zu der Zeit aber noch in weiter Ferne. Die Bomben waren relativ klein und die Zielgenauigkeit ließ noch sehr zu wünschen übrig. Selbst mit einem Treffer hätte man nur ein kleines Bruchstück aus einem Damm schlagen können. Wallis entschied, dass eine sehr viel größere Bombe notwendig werden würde und untersuchte Möglichkeiten, eine 10-Tonnen-Bombe (22.000 engl. Pfund x 0,454 kg) zu entwickeln. Das war mehr, als irgendein Bombenflugzeug tragen konnte, und darum plante er ebenso die Entwicklung eines riesigen neuen Flugzeuges, das damit hätte beladen werden können.

Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht ganz überzeugt, dass Dämme die geeignetsten Ziele wären, aber eine große Bombe konnte auch für andere Einsätze nützlich sein.

Mittlerweile führten andere Wissenschaftler Testreihen durch, um die Wirkungen verschieden großer Sprengstoffmengen auf maßstabgetreue Möhnedamm-Modelle zu testen. Die Ergebnisse waren vielversprechend. Wallis glaubte, dass seine 10-Tonnen-Bombe den Möhne-Damm zerstören könnte. Ein direkter Treffer würde nicht nötig sein. Von großer Höhe abgeworfen, würde sie tief eintauchen ehe sie explodierte und so ein Erdbeben verursachen, welches das Ziel in Stücke schütteln würde. Aber nicht einmal Ende 1941 hatten Wallis’ Vorschläge einer großen Bombe und des „Victory-Bombers“ offizielle Unterstützung bekommen. Zu Beginn des Jahres 1942 unternahm Wallis einen neuen Anlauf. 

Er glaubte, dass ein Geschoss, dammaufwärts abgeworfen, über die Wasseroberfläche hüpfen,  schließlich den Damm treffen und an der inneren Sperrmauer heruntergleiten würde. Das hätte den Vorteil großer Genauigkeit und würde darum eine geringere Sprengstoffmenge und somit ein geringeres Gewicht erfordern. Wallis experimentierte mit Glasmurmeln, die er sich von seinen Kindern geliehen hatte, und schoss sie mit einem Katapult über einen Wasserbottich in seinem Garten. Die Idee schien zu funktionieren, und so erweiterte er seine Experimente, indem er golfballgroße Kugeln über die Wasseroberfläche eines großen Testtanks für Schiffe feuerte. 

Weitere Tests mit Modell-Dämmen zeigten, dass eine Ladung von 3400 kg (7.500 engl. Pfund), die an der Wand des Dammes detonierte, einen 15 (50 Fuß) Meter tiefen Bruch verursachen würde. Das bedeutete, dass die Waffe selbst weniger als 4540 kg (10.000 engl. Pfund) wiegen konnte. Die neue 4-motorige Lancaster, die gerade in Dienst gestellt wurde, konnte dieses Gewicht leicht bis zur Ruhr tragen. Dadurch ermutigt, führte Wallis Ende 1942 Versuche mit einer kugelförmigen Waffe durch, die von einem Wellington Bomber abgeworfen wurde. Die Bombe fiel aus niedriger Höhe und wurde vor dem Ausklinken in eine Rückwärts-Rotation versetzt, um das Springen zu erleichtern. Die Drehung würde außerdem bewirken, dass sie nach ihrem Treffer an der Mauer herunter gleiten und in einer bestimmten Tiefe detonieren würde, ausgelöst durch einen vom Wasserdruck abhängigen Zünder. Die Experimente verliefen erfolgreich, aber das bedeutete nicht, dass Wallis ab sofort Unterstützung für weitere Versuche mit der Bombe in Originalgröße erhielt.

Es ist nicht überraschend, dass viele, einschließlich der Oberbefehlshaber des Bomber Command, Sir Arthur Harris, sehr bezweifelten, dass eine 10-tausend-Pfund-Bombe über das Wasser springen konnte wie ein hüpfender Stein. Allein durch seine Entschlossenheit schaffte er es Wallis jedoch, allen einzureden, dass es funktionieren könnte, und Ende Februar 1943 erhielt er die Genehmigung, eine Bombe in voller Größe zu entwickeln. Das geschah unter großem Zeitdruck. Es war wichtig, dass die Dämme angegriffen werden sollten, wenn die Stauseen am höchsten gefüllt waren, und ehe Wasser für die Fabriken abgelassen wurde. Das bedeutete, dass im Falle eines Angriffs noch im selben Jahr, Fertigstellung der Bombe und Training der Flugzeugbesatzungen in der unglaublich kurzen Zeit von nur 11 Wochen durchgeführt werden mussten. Wallis machte Druck und arbeitete eng mit Avro, dem Lancaster-Hersteller, zusammen, um die Pläne der Bombe zu beenden und die Änderungen durchführen zu lassen, die nötig sein würden, um das Flugzeug für das Tragen der Bombe umzurüsten. In der Zwischenzeit genehmigte Harris die Gründung einer neuen Staffel, bestehend aus 21 erfahrenen Besatzungen, die die spezielle Abwurftechnik trainieren würden.    

Die Operation würde bei Mondlicht ausgeführt werden müssen, um besser navigieren und das Ziel klar sehen zu können. Es war bekannt, dass die Bombe aus sehr geringer Höhe abgeworfen werden müsste. Um die Verteidigungsstellungen zu umgehen, würde das Flugzeug beim Zielanflug und Abflug in Baumwipfelhöhe fliegen müssen. Die Mannschaften der Squadron 617 begannen, lange Überlandflüge zu trainieren, verbesserten die Orientierung nach Karten und reduzierten umso mehr ihre Flughöhe, je erfahrener sie wurden.

Die ersten Bomben in voller Größe (Codename „Upkeep” = „Oben bleiben”, heutige Bedeutung: „Instandhaltung”) und modifizierte Flugzeuge waren im April bereit für Tests. Aber anfangs funktionierte alles nicht gut, weil die Bombe beim Kontakt mit der Wasseroberfläche stark abbremste. Verschiedene Kombination von Umdrehungs- und Fluggeschwindigkeit sowie unterschiedlichen Flughöhen wurden ausprobiert, bis man schließlich herausfand, dass eine Bombenrotation von 500 Umdrehungen pro Minute und ein Abwurf aus 18 Metern Höhe (60 Fuß) bei einer Fluggeschwindigkeit von 354 km/h (220 Meilen pro Std.) die besten Resultate lieferten. Die Höhe würde mit Hilfe zweier unter dem Flugzeug montierter Scheinwerfer bestimmt werden, deren Strahlen auf der Wasseroberfläche bei korrektem Abstand zum Flugzeug eine 8 bilden würden. 

Am 16. Mai war alles bereit und die Besatzungen wurden instruiert für die Operation „Chastise“ („Strafen“). 19 Flugzeuge würden beteiligt sein, eingeteilt in Gruppen mit verschiedenen Angriffszielen. 9 Flugzeuge sollten den Möhne-Damm attackieren, und nach einem Bruch der Sperrmauer sollten die Maschinen, die noch Bomben trugen, den Eder-Damm westlich von Kassel angreifen. Fünf weitere waren für den Angriff auf den Sorpe-Damm bestimmt. Dies war jedoch ein  Erddamm und kein ideales Ziel für „Upkeep“. Sie würden dort eine andere Angriffsvariante ausführen, indem sie die Bombe ohne Eigendrehung nach einem Anflug längsseits des Dammes in dessen Mitte abwerfen und sie damit unter Wasser entlang des Damm-Fundamentes gleiten lassen würden. Vier weitere Flugzeuge würden als mobile Reserve mitfliegen. Sie könnten nach Bedarf zu einem der Hauptziele geleitet werden oder zu anderen kleineren Sperrmauern im Zielgebiet.

Zwei Flugzeuge wurden auf dem Flug beschädigt und mussten schon früh zurückkehren. Eines von ihnen flog so niedrig, dass es über der Zuider-See das Wasser berührte und seine Bombe verlor. Fünf weitere stürzten ab, ehe sie ihre Ziele erreichten. Fünf Maschinen griffen die Möhne-Sperrmauer an, eine wurde abgeschossen, bevor die Mauer brach und drei flogen weiter, um den Eder-Damm zu zerstören. Zwei griffen den Sorpe-Damm an und verursachte leichte Schäden, aber keinen Durchbruch. Zwei Flugzeuge wurden auf dem Heimflug abgeschossen. Eine Maschine griff ein Alternativziel an, von dem man damals dachte, es sei der Ennepe-Damm. Spätere Untersuchungen ergaben, dass es sich wahrscheinlich um den Bever-Damm handelte. Das letzte Flugzeug schaffte es nicht, sein Zeil zu finden und kehrte mit seiner Bombe zurück. Von den 19 gestarteten Maschinen kehrten nur 11 zurück. 53 Besatzungsmitglieder kamen ums Leben, nur 3 überlebten überraschenderweise als Kriegsgefangene.

Als der nächste Tag anbrach, wurden Aufklärungsflugzeuge entsandt, die die Auswirkungen des Bombardements der Squadron fotografieren sollten. Die Aufnahmen, die sie zurückbrachten, waren dramatisch. Sie zeigten große Löcher in zwei Dämmen mit überschwemmten abwärts gelegenen Gebieten. Was die Alliierten betraf, so war die Operation ein Riesenerfolg gewesen, und es wurden alle Anstrengungen unternommen, den Angriff und die erwarteten Auswirkungen zu veröffentlichen. Die Bilder erschienen schon bald auf den ersten Seiten der britischen Tageszeitungen, und Kopien wurden über Funk zu anderen Verbündeten geschickt zusammen mit Angaben über hohe Verluste und riesige Schäden bei der Industrie. Flugblätter wurden produziert und wenig später über den von Deutschen Truppen besetzten Gebieten abgeworfen, als Beweisstücke dafür, dass Großbritannien und die Royal Air Force dabei waren, Europa zu befreien.

Spätere Kritiken an den Angriffen auf die Talsperren stellen fest, dass die Operation der deutschen Kriegsindustrie nur geringe wirksame Schäden zugefügt hat. Sie weisen darauf hin, dass es nur eine begrenzte Verringerung der Produktion an der Ruhr gab, und dass die Dämme bereits im darauffolgenden Herbst wieder repariert waren, rechtzeitig, um das Regenwasser des Winters aufzustauen. In mancher Hinsicht wurde der Angriff Opfer seiner eigenen Propaganda, die, wie das in Kriegszeiten oft der Fall ist, die tatsächlichen Zerstörungen in hohem Maße übertrieb, um die Moral zu stärken. Verglichen mit den Informationen, die zu der damaligen Zeit gegeben wurden, waren die physikalischen Schäden vielleicht geringer, aber die Operation hatte andere Auswirkungen, die damals nicht so propagiert wurden, die aber dieses Ungleichgewicht wieder herstellen.

Ebenso wie die Operation für eine Stärkung der Moral auf Seiten der Alliierten sorgte, hatte es eine demoralisierende Wirkung auf Teile der deutschen Bevölkerung. Sie lieferte einen vorzeigbaren Beweis, dass die Royal Air Force mit nur einer kleinen Zahl von Flugzeugen in der Lage war, ein kleines Ziel tief im deutschen Reichsgebiet zu lokalisieren, zu zerstören, und das ganz unverhältnismäßig im Vergleich zur Größe der Streitmacht. Angesichts dieser Fähigkeit konnte es nun nur wenige Orte geben, die sich als unangreifbar betrachten konnten. Die RAF würde zurückkommen können, um andere verwundbare Dämme anzugreifen. Diese würden Verteidigungsstellungen benötigen, die nur mit Kanonen erreichtet werden konnten, die an der Ostfront dringend gebraucht wurden. Es war wichtig, die Dämme so schnell wie möglich zu reparieren. Dazu mussten Männer und Material von anderen Projekten abgezogen werden, wie z.B. von der Errichtung des Atlantik Walls und blieben so an anderen Orten für Monate beschäftigt.

Was die Zerstörungen und technischen Beeinträchtigungen betrifft, so ist es wahr, dass es nicht den Anschein hat, als wäre die industrielle Produktion in ihrer gesamten Höhe in dem Maße nachteilig beeinflusst worden, wie das einige der Planer vorausgesagt hatten. Das mag der Übergewichtung der Bedeutung der Dämme zuzuschreiben sein und auch der Tatsache, dass es mit Hilfe von Produktionssteigerungen in wirtschaftlich nicht betroffenen Gebieten möglich war, die Einbußen an der Ruhr zu kompensieren.

Was die zu beklagenden Menschenleben betrifft, so waren die tatsächlichen Zahlen niedriger, als die die von den Alliierten offiziell angenommen wurden, aber nichtsdestoweniger größer als bei irgendeinem vorangegangenen Angriff. Zusammen wurden 1294 Personen getötet, von denen 493 Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter sowie Kriegsgefangene waren, die in einem Lager unterhalb der Möhne-Sperrmauer gelebt hatten. Bis zu diesem Luftangriff war die höchste Opferzahl, die durch Aktionen der britischen Luftwaffe verursacht worden war, die Zahl von 693 Toten bei einem Bombenangriff auf Dortmund in der Nacht vom 4. zum 5. Mai gewesen, der von 596 Flugzeugen ausgeführt worden war. (Dies war einem Angriff der deutschen Luftwaffe auf Coventry mit 449 Maschinen im Dezember 1941 vergleichbar, bei dem 568 Menschen ums Leben gekommen waren.)

Es muss jedoch betont werden, das der Verlust von Menschenleben nicht das eigentliche Ziel der Angriffe auf die Talsperren war. Es ist zu allen Zeiten eine schreckliche Tatsache, dass es nicht nur die Armeen sind, die während des Krieges leiden müssen.

Warum wurden niemals andere Dämme angegriffen? Das ist nicht leicht zu beantworten. Andere geeignete Dämme waren gefunden, aber der Verlust von 42% der angreifenden Streitmacht war ein Preis, den zu bezahlen die britischen Oberbefehlshaber sich nicht leisten konnten. Jedes Flugzeug war mit besonderem Aufwand verändert worden und somit nicht leicht zu ersetzen. Der Squadron 617 blieben noch 14 Maschinen und 13 geschulte Besatzungen. Hätten normale Bomber nicht angreifen und so die Geschwindigkeit der Reparatur von Möhne- und Eder-Sperrmauer verzögern können? Die Antwort scheint damals gewesen zu sein, dass die Dämme als kleine Ziele eingestuft waren, die für die Bomberflotte schwer zu finden gewesen wäre und eine Verschwendung von großen Bombenmengen für einen geringen Effekt bedeutet hätte.

Es gibt eine letzte Legitimation für den Talsperren-Angriff. Die Squadron 617, die als Spezial-Bomberstaffel gebildet worden war, behielt diese Aufgabe und entwickelte neue Techniken der Markierung und des Angriffs kleiner Ziele mit einer bislang unerreichten Genauigkeit und einem Minimum an Todesopfern auf beiden Seiten. Barnes Wallis hielt seine Verbindungen mit der Quadron aufrecht und entwickelte seine 5-Tonnen-Tallboy- und seine 10-Tonnen-Grand-Slam- „Erdbeben“-Bombe (12,000 Pfund Tallboy and 22,000Pfund Grand Slam „earthquake“ Bomben), die in kleinen Stückzahlen dazu benutzt wurden, bestimmte Strukturen und Brücken zu zerstören. Zu diesem Zweck kehrte die Squadron 617 am 19. März 1945 noch einmal zum Arnsberger Wald zurück und warf diese großen Bomben auf die Arnsberger Eisenbahnverbindung über die Ruhr. Ihr Erfolg bedeutete, dass der Stadt weitere weniger präzise Angriffe von großen Zahlen angreifender Bomber erspart blieben, die sicherlich einen viel größeren Verlust von Menschenleben bedeutet hätten.  

Jedes Jahr treffen sich an dem dem Remembrance Day (11. November) nächstgelegenen Sonntag Ex-Mitglieder der Squadron 617 in der Nähe ihres Kriegsflugplatzes in Lincolnshire gemeinsam mit Leuten aus der Bevölkerung und weiteren Besuchern. Es ist verständlich, dass viele von ihnen während der zwei traditionellen Schweigeminuten am Squadron-Denkmal mit ihren Gedanken bei den Kameraden sind, die ihr Leben verloren haben. Andere, die damals noch nicht geboren waren oder zu jung, um in diesem Krieg mitgekämpft zu haben, schließen in ihre Gedanken alle ein, die unter dem Krieg gelitten haben, gleich welcher Nationalität oder welchen Ranges, ob Soldat oder Zivilperson. Die Ereignisse des Krieges sollten nicht vergessen werden, aber durch die Erinnerung müssen wir den hohen Wert der Versöhnung richtig einschätzen und dafür eintreten, dass solche Ereignisse nie wieder geschehen dürfen.